Hybride Bedrohungen in Europa – wo stehen wir?

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Nach der eindrucksvollen Hinführung zum Thema der hybriden Bedrohungen in Europa durch Dr. Gustav Gressel weiteten die anderen Podiumsteilnehmer:innen die Themenvielfalt und erklärten jeweils aus ihrer Perspektive die Bedrohungslage und den Umgang damit:

Reinhard Bingener

  • Das Spezifische an hybrider Kriegsführung ist, dass sie innenpolitisch geführt wird. Es ist ein Krieg, der nicht militärisch konzentriert ist und unterhalb der Kriegsschwelle ausgetragen wird. Autokraten können bei dieser Form der Kriegsführung eine Asymmetrie zu ihren Gunsten ausbeuten, indem sie Methoden, die sie sowieso gut beherrschen vom Inhalt ins Ausland exportieren. Dazu zählen beispielsweise Propaganda und Desinformation. Es zielt auf eine „Lethargisierung“ der Bevölkerung ab. Des Weiteren werden Einschüchterung und Gewalt genutzt. Strategische Korruption dient dazu, Menschen beherrschbar und handhabbar zu machen. Beeindruckend sind auch die schieren Zahlen der Menschen, die für russische Geheimdienste arbeiten. Allein der FSB hat einen Personalaufwuchs von 80.000 auf nun 350.000 Personen in Putins Amtszeit zu verzeichnen. 
  • Nachteilig kommt hinzu, dass westliche Staaten auf diese Arten von Bedrohungen nur schwer reagieren können. Sie können und wollen nicht mit den gleichen Methoden reagieren, tun sich aber in der eigentlichen Abwehr der Bedrohungen auch schwer. Dazu kommen die Vor-, die gleichzeitig Nachteile sein können: Die offene Gesellschaft. Diese lebt vom Diskurs, von Toleranz und von der Einhaltung der Grundfreiheiten. Diese einzuschränken führt zu einem klassischen Dilemma. Es fehlen bislang die richtigen Werkzeuge zum Einsatz gegen hybride Attacken sowie der richtige Rechtsrahmen und die geeignete parlamentarische Kontrolle. Ungeklärte Zuständigkeiten zwischen Bund, Land und Kommunen fallen nach wie vor negativ ins Gewicht.  
  • Politisch betrachtet dürfte es angesichts einer Zweidrittel-Mehrheit, die fuer die Ausrufung des „Spannungsfalls“ notwendig ist, fraglich sein, ob diese aktuell im Bundestag überhaupt finden ließe.
  • Was macht RUS konkret? Den Zangengriff: Bedeutet, dass man auf linke wie rechtsextreme Gruppen in Europa gleichermaßen zurückgreift, um diese für die eigenen Zwecke zu nutzen. Arbeitet mit christlichen Motiven als Einfallstor für  ultrakonservative „Werte“. 
  • Außerdem der Zugriff auf die politische Mitte, und die systematische Einbeziehung der strategischen Korruption auch in Form von (Gefälligkeits)Journalismus.

Sophie Becker:

  • Betreut das Projekt „Business Council for Democracy“ in der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, ein Netzwerk für Unternehmen, die aktiv die Demokratie verteidigen. Unternehmen sind wichtiger Hebel, weil viele Menschen nach wie vor ihren Arbeitgeber:innen ein hohes Vertrauen entgegenbringen. 
  • Vor allem bei den Fragen der Desinformation ist die ältere Generation oder sind ältere Erwachsenen besonders anfällig. Daher wurde das Netzwerk auch mitbegründet, um über die betriebliche Ebene digitale Medienkompetenz zu entwickeln und zu vermitteln.

Ferdinand Gehringer:

  • In Sicherheitskreisen und in der Politik ist das Problem gut erfasst, aber es gibt eine grosse Lücke, was wir dagegen bislang tun. Beim Thema Desinformation kommen wir nur sukzessive voran. In anderen Ländern – wie zum Beispiel Estland – ist man deutlich weiter. Hier gibt es ein Schulfach „Medien und Beeinflussung“ oder auch ein Fake-news-Kartenspiel. Krisenvorsorge in den Klassenzimmern brauchen wir auch hier dringend. Es müssen auch nicht militärische Lagen sein, die die Menschen bedrohen, es können auch andere Katastrophen sein, wie Wirbelsturm, Fluten oder andere Naturereignisse. Auch dafür ist die Zivilbevölkerung nicht wirklich gut gerüstet. Wir müssen uns alle fragen, was ist meine Rolle im Krisenfalle? Jeder hat eine Rolle. Eigene Vorsorge zu treffen bedeutet nicht „Prepper sein“, sondern staatliche Ressourcen, vor allem auf der kommunalen Ebene zu entlasten. Das würde die gesellschaftliche Resilienz massiv steigern. 

Gustav Gressel

  • Hybrides Kriegsrecht, Spannungsfall: Ermittlungsbefugnisse im Friedensfall sind schon schwierig in Deutschland. Aber nach wie vor denken Behörden noch viel zu oft in Silos. Zuständigkeiten bei Drohnenüberflügen sind nicht immer geklärt. Wenn diese Form der Vorfälle sich häufen, werden extrem viele Polizeikräfte gebunden. Welche Regelungsbefugnisse haben Unternehmen kritischer Infrastruktur? Im Krisenfall muss klar sein, wer welche Kompetenzen hat. 
  • Skandinavien redet über diese Szenarien seit Jahren. 

Florian Gehringer:

  • In D wurde viel Infrastruktur privatisiert. Jetzt ist unklar, wer für den Schutz der kritischen Infrastruktur im Krisenfall zuständig. Es müssen dazu jetzt Entscheidungen getroffen werden, was ist wichtiger (und legitim) für die Betreiber kritischer Infrastruktur, effizientes Wirtschaften oder die optimale Ausrüstung, die von den privaten Wirtschaftsakteuren und vom Staat angeschafft wird? Wie steht es um die digitale Sicherheit, wie steht es um den Drohnenschutz? In Skandinavien werden Betreiber der Infrastruktur deutlich besser über die aktuelle Sicherheitslage informiert und die Kommunikation eingebunden.

Sophie Becker:

  • Betriebe sind unterschiedlich bereit, sich dem Thema zu öffnen. Schulungen zu Desinformationen und zu Hass im Netz werden von einigen Unternehmen sehr gern angenommen, nehmen an Simulationsspielen (zum Krisenfall) teil, andere sind deutlich zurückhaltender.
  • Einige Verbände arbeiten mit ihren Betriebsräten sehr eng in der Demokratieinitiative zusammen, der Einfluss der Anti-Demokraten ist allerdings in einigen Fällen sichtbar.

Frage: Geht es nicht darum, die wichtige Frage (Zerstörung der Demokratie in Europa) deutlicher nach vorne zu stellen?

Gustav Gressel:

  • Russland und andere Autokraten wollen tatsächlich unsere demokratische Ordnung sehr zerstören. Das Bewusstsein dafür ist in den skandinavischen und baltischen Staaten deutlich höher. 

Reinhard Bingener:

  • Nicht so pessimistisch, allerdings müssen die demokratischen Parteien und die Behörden auch die tatsächliche Lage klarer ansprechen. Zumutungen sind möglich. 

Frage: Gab es eine staatsanwaltliche Ermittlung nach den vielen Fällen der strategischen Korruption?

Bingener:

  • Nein. 

Frage: Wie kann mit dem polnischen Präsidenten, einem Kleinkriminellen umgehen? Gibt es Sanktionsmöglichkeiten? 

Gressel

  • Leider nein. Weder die EU noch die anderen Gremien Europarat und OSZE haben derzeit Instrumente dafür. 

Frage: Warum kommuniziert die Politik nicht klarer und warum wird nicht finanziell umgesteuert? Warum werden Leute aus der Praxis nicht mehr eingebunden?

  • Es wird Folgeveranstaltungen genau zu diesen Themen unter Einbeziehung der Blaulichtorganisationen und der Kommunen – geben.

Gressel: 

  • Übungen fuer den Krisenfall lange nicht stattgefunden. Es müssen allerdings echte „Übungen“ (inclusive der Fehler) sein und keine Showveranstaltungen für die Politik.

Frage: Kritische Infrastruktur ist digital anfällig. Wo stehen wir beim Schutz aktuell? Was können wir von anderen Ländern lernen?

Gehringer:

– Cyberresilienz kritischer Infrastruktur auf mittlerem Niveau, Schwachpunkt sind derzeit noch die Kommunalverwaltungen. Personal- und Finanzausstattungen sind sehr verletzlich. Davon betroffen sind Sozialversicherungen, KfZ Behörden, Passaustellungen etc. In der Wirtschaft sind vor allem die mittelgroßen Betriebe und Dienstleister für Cyberausfälle anfällig. 

Fazit: Es gibt Unklarheiten bei Zuständigkeiten im Krisenfall, die unbedingt behoben werden müssen. Bei den Wirtschaftsakteuren müssen kleinere und mittelgroße Betriebe  besser geschützt werden. Skandinavische und Baltische Staaten sind sowohl in der Abwehr der hybriden Bedrohungen wie zum Beispiel bei Cyber und Desinformation klar im Vorteil, weil sie seit langem die Probleme nicht klein reden, sondern offen ihr Wissen mit Industrie, Behörden und Bevölkerung teilen. Informationen und Kommunikation müssen auch in Deutschland dringend dem Bedrohungsszenario angepasst werden.